Corot.

aus: NZZ, 12. 10. 2010

Revolutionär ohne Gegner

Das Genfer Musée Rath präsentiert «Corot en Suisse»

Das Genfer Musée d’art et d’histoire feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Der Höhepunkt des Jubiläums ist zweifellos die Ausstellung «Corot en Suisse», die derzeit im Musée Rath zu sehen ist.

Von Marguerite Menz

Schon 1859 hatte der Kanton Genf anlässlich der «Exposition cantonale des Beaux-Arts» die ersten zwei Bilder des Meisters angekauft: «Nymphe couchée dans la campagne ou Le repos» und «Rêverie sur l’étang (Un soir à Ville d’Avray)». Es war zum zweiten Mal, dass sich Corot an dieser Ausstellung beteiligt hatte. 1857 war ihm dabei die höchste Auszeichnung, die Ehrenmedaille, verliehen worden – trotz dem Widerstand des Genfer Malers François Diday, der meinte, «que l’on attache un pinceau à la queue de mon chien, il en saura faire autant». Inzwischen ist die Corot-Sammlung des Museums dank verschiedenen Schenkungen auf vierzehn Gemälde, eine Zeichnung und vierzig grafische Blätter angewachsen. Dass ausgerechnet im vergangenen Juni dank der Hilfe zweier privater Stiftungen mit «Jeune Femme à la Fontaine» (um 1860) ein weiteres wichtiges Werk erworben werden konnte, ist ein Glücksfall; eine sogenannte «Figure de fantaisie» hatte bisher in Genf noch gefehlt.

Jean-Baptiste Corot (1796-1875) war der Schweiz sehr verbunden. Sein Grossvater mütterlicherseits, der als Gardist am Hof von Versailles gedient hatte, stammte aus dem Kanton Freiburg. Seine Mutter, Marie-Françoise Oberson, führte in Paris ein Damenhutgeschäft. Doch allein aufgrund seiner familiären Wurzeln, die von der französischen Kunstgeschichte gerne übergangen werden, lassen sich die zahlreichen Aufenthalte in der Westschweiz nicht erklären. 1825, bei seinem ersten Aufenthalt in Rom, hatte er den Neuenburger Maler Léopold Robert kennengelernt, es folgte bald der Genfer Jean-Gabriel Scheffer, später u. a. Barthélemy Menn. Der von Natur aus gesellige Corot mochte es, Künstlerkollegen um sich zu scharen und gemeinsam im Freien zu malen: in Barbizon wie im Genfer Winzerdorf Dardagny oder auf dem Schloss Greyerz.

Anders als bei vielen Zeitgenossen, die im 19. Jahrhundert die Schweiz bereisten, galt das Interesse Corots nicht dem Alpenland mit seinen erschreckend hohen Gipfeln, Gletschern und tosenden Wildbächen. Die verschneiten Berge rücken in die Ferne, hinter die sanften Hügel und die saftig grünen Baumgruppen, weit weg von See oder Stadt. Die Schweizer Bilder, darunter eine frühe Ansicht von Lausanne (1825), Genf von der Rhone aus gesehen mit einer geheimnisvollen leeren, schwarzen Barke (1834), «Le quai des Pâquis à Genève» im Sonnenlicht (um 1842) oder die zauberhafte Landschaft mit Bauernhaus, «Une ferme de Dardagny» (1855-1857), bilden den ersten Teil der Ausstellung im Musée Rath. Doch hat «Corot en Suisse» einen doppelten Sinn. Im zweiten Teil der grossen Schau sind nämlich ausschliesslich Werke aus Schweizer Kollektionen versammelt. Sie sind so zahlreich und vielfältig, dass daraus recht eigentlich eine Retrospektive entstanden ist. Corot gilt als Künstler an der Schwelle zwischen Klassik und Moderne; daher ist es nicht erstaunlich, dass er sowohl von Sammlern alter Kunst wie von Liebhabern neuerer Kunst geschätzt wird.

Als Corot sich sechsundzwanzigjährig entschloss, Künstler zu werden, gab es in Paris keine Landschaftsmaler von Bedeutung. Der gleichaltrige, begabte Achille-Etna Michallon, dessen Atelier er besuchte, starb schon 1822. Es waren die alten Meister, Claude Lorrain und Nicolas Poussin, und vor allem die Jahre in Rom 1825 bis 1828, die seine Kunst massgeblich geprägt haben. Gemälde aus dieser Zeit wie der Palazzo Chigi in Ariccia oder der Monte Pincio in Rom zeigen einen eigenwilligen, von breiten Flächen und Helldunkelkontrasten bestimmten Stil. Gerade bei Stadtansichten ist Unspektakuläres, eine Mauer oder ein Erdhügel, ebenso wichtig wie ein Palast oder eine Kirche. Die Baumstudie aus dem Park der Villa d’Este in Tivoli (1843), ehemals im Besitz von Edgar Degas, nähert sich schon beinahe der Abstraktion. Beim reifen Corot werden die immer noch nach klassischen Regeln aufgebauten Landschaften stimmungsvoller. Die Natur, Bäume, stille Wasser, der Himmel, eingetaucht in ein diffuses Licht. Gegenstände und Menschen sind nur undeutlich zu erkennen, manchmal reduziert auf einen kleinen roten Punkt inmitten eines blaugrünen oder braunen Farbenschleiers. Diesen undramatischen Landschaften im Wesen verwandt sind auch die Figurenbilder. Das junge Mädchen mit dem Blumensträusschen wirkt still und in sich gekehrt, auch die melancholische Odaliske und sogar die geradezu monumentale Italienerin am Brunnen aus dem Kunstmuseum Basel.

Jean-Baptiste Corot ist kein Maler des Erhabenen. Seine Bilder spiegeln das Alltägliche und Vertraute. Der Kunsthistoriker Rudolf Zeitler schrieb über ihn: «Er war Revolutionär, ohne gegen jemanden zu revoltieren.» War er also nicht schweizerischer, als man es in Frankreich wahrhaben will?

Corot en Suisse. Musée Rath, Genf. Bis 9. Januar 2011. Katalog.

Nota.

Corot ist mein nächstes großes Vorhaben. Er war neben… na ja, nach Turner der zweite große Revolutionär der europäischen Malerei. Man sieht es allerdings erst auf den zweiten, dritten, vierten Blick…

Einstweilen hänge ich noch an den deutschen Romantikern fest, die eigentlich zu meinem Thema gar nicht viel beitragen; namentlich an Carl Blechen: Darf ich über den schreiben, ohne die Frage aufzuwerfen, ob er ‚eigentlich überhaut noch ein Romantiker war‘ – und woran man das gegebenfalls erkennen kann? Aber das gehört doch nicht zu meinem Thema und ist vielleicht ohnehin eine müßige Frage.


~ von Panther Ray - Oktober 14, 2010.

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