Giorgione.

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aus: NZZ, 4. Februar 2010

Erstmals als Frühwerk von Giorgione gezeigt: «Saturn im Exil» – mit Lautenspieler, Einsiedler und Bestiarium.

Von Mythos, Lust der Sinne und Harmonie

Giorgione in einer grossen Schau in seinem Geburtsort Castelfranco Veneto

Zum fünfhundertsten Todesjahr widmet Giorgiones Geburtsort Castelfranco Veneto seinem berühmten Sohn eine Ausstellung, die neues Licht auf die vom Mythos überschattete Persönlichkeit des Malers wirft. Werke seiner Zeitgenossen, Objekte und Briefe beleuchten den historischen Kontext.

Von Eva Clausen

Ein heller Blitz durchbricht die Wolkenwand, hinter dem dichten Schleier schimmert matt der Mond hervor. Die Nacht ist stürmisch und doch mild, und unbekümmert stillt die Mutter ihr Kind. «Das Gewitter» ist nicht nur von Giorgione, es ist Giorgione schlechthin. Es ist die bildliche Darstellung seines Enigmas, jener Undurchdringbarkeit, die seine Werke so sehr kennzeichnet, dass sie fast unerkenntlich werden, rational nicht fassbar, inhaltlich nicht erklärbar. Giorgiones Malerei ist Labsal für das ästhetische Auge, Qual für den nach Sinn forschenden Blick. Sie ist Kunst für Geniesser, so wie Giorgione selbst es verstanden hat, das Leben zu geniessen. Wenn ihm auch nur ein kurzes beschieden war.

Aura des Wunders

Zorzi da Castelfranco starb 1510 in Venedig, so viel ist gewiss. Ob im Alter von 32 oder 33 Jahren, an der Pest oder vielleicht doch eher an der «Franzosenkrankheit», der Syphilis, das steht schon wieder auf einem anderen Blatt. Es gibt kaum einen Maler, über den man so wenig weiss, dessen Werkverzeichnis so ungewiss und dessen Ruhm gleichwohl so überragend und unangefochten ist. Giorgione gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Hochrenaissance, als Autor des ersten italienischen Landschaftsgemäldes, als Vater der modernen venezianischen Malerei.

Den Mythos Giorgione nähren die spärlichen Nachrichten über sein Leben und sein früher Tod. Sein revolutionäres Schaffen ist von der Aura des Wunders umgeben. Die Ausstellung will dieser mystischen Aura ein reales Gesicht, der legendären Figur feste Konturen verleihen. Kein leichtes Unterfangen, zumal der Werkkorpus klein und umstritten ist und nicht alle Museen bereit sind, sich von ihren als sicher geltenden Giorgione-Werken zu trennen. So fehlen bedeutende Steine im Puzzle, etwa das einzig signierte Gemälde, «Laura», und die «Drei Philosophen» aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, das Selbstbildnis als David mit dem Kopf Goliaths (Herzog-Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig), die «Judith» aus der Eremitage. Und dennoch gelingt es dem Giorgione-Haus in Castelfranco, seinen einstigen Bewohner vor dem geistigen Auge des Besuchers lebendig werden zu lassen.

Von Musen und Kurtisanen

Ein Dutzend als eigenhändig erachtete Gemälde, begleitet von Dokumenten – Briefen, alten Büchern, Steuer- und Zahlungsbescheiden –, einer Gruppe von Bildern umstrittenerer Autorschaft und Werken seiner Zeitgenossen, holen Giorgione aus dem Reich des Mythos auf die Erde, in sein Heimatdorf zurück. Das Museum selbst besitzt im Hauptsaal eines der wenigen erhaltenen Fresken des Malers, den 30 Meter langen monochromen «Fries der liberalen Künste», während im Dom das Altarbild «Thronende Madonna mit den Heiligen Franziskus und Nicasius» hängt. Der hermetische Fries ist Indiz von Giorgiones Interesse für esoterisch-häretische Diskurse, von der Sternkunde über die Magie zur Naturwissenschaft; das Altargemälde, dessen Zuschreibung als sicher gilt, aber dennoch Zweifel aufwirft, lässt erkennen, welche Bedeutung der Maler der Natur in der Malerei zudenken sollte. In der Sacra Conversazione überschreitet sie die einfache Rahmen- oder Hintergrundfunktion, bald darauf sollte sie das Bild souverän beherrschen. Die Schau zeigt den Weg dahin: Sie stellt als Frühwerk erstmals «Saturn im Exil» vor, in dem ein Lautenspieler an die zweite grosse Leidenschaft Giorgiones, die Musik, erinnert, und erzählt von seinem Leben, von seiner Lehrzeit bei Giovanni Bellini, von seiner Aufnahme in die Kreise der jungen Patrizier, der «jeunesse dorée» der Lagune, die ihre Zeit mit humanistischem Philosophieren, edlem Musizieren und nicht immer nur platonischen Lieben verbrachte. So handelt es sich bei Giorgiones «Laura» wohl auch eher um eine verführerische Kurtisane denn um ein Idealporträt von Petrarcas Muse.

Giorgiones Interesse für das schöne Geschlecht ist kein Geheimnis – und es wurde erwidert. Niemand Geringerer als Isabelle d’Este, kaum erfuhr sie vom Tod des Malers, entsandte eine Depesche nach Venedig mit der dringenden Bitte, man möge ihr umgehend eines der «nächtlichen» Bilder Giorgiones zukommen lassen. Der Besucher wird Isabellas Wunsch angesichts des «Gewitters» und des «Sonnenuntergangs» verstehen. Niemals zuvor war in der italienischen Malerei die Natur so machtvoll, so einfühlsam, so bewegend dargestellt worden. Von der schlicht schönen Kulisse wird sie zum Thema des Bildes – und des Universums –, in dem der Mensch eine eher unscheinbare Rolle spielt. Die Bedeutung der Figuren ist in der Tat rätselhaft, und so sehr gelehrte Kunstwissenschafter sich auch bemühen, sie zu entschlüsseln, so sehr verschliessen sie sich der letzten Erkenntnis. Die schwankt im Fall des «Sonnenuntergangs» zwischen Philoktet auf Lemnos und dem pestheilenden Rochus, in der Deutung des «Gewitters» zwischen Adam und Eva und Paris und Oinone. Giorgione füllte seine Bilder mit Symbolen, Allegorien, Zitaten, mehrdeutigen Zeichen und Anspielungen, worin er zweifelsfrei Leonardo ähnelte, von dem er auch die Technik des sfumato, der weichen ineinanderfliessenden Umrisse, übernahm, die er mit dem sinnlichen Farbenmeer und der lichtgetränkten Atmosphäre der Lagune in Einklang brachte.

Zeitlose Modernität

Harmonie ist der Schlüssel, der das Rätsel Giorgione zwar nicht löst, aber doch einen möglichen Zugang zu seinem Œuvre bietet. Seine Bilder sind wie Musik, man kann ihnen «lauschen», auch ohne sie «verstehen» zu müssen. Giorgione war ein Sohn seiner Zeit, des Humanismus. Er war mit den Theorien von Astrologie, Astronomie, Alchimie und Philosophie, namentlich der neuplatonischen, vertraut und bediente sich ihrer eklektisch, um Kompositionen zu schaffen, die den Horizont jenseits der Wahrnehmung öffneten, die Wirklichkeit mit der Vision, das Leben mit dem Traum verbanden. Streben, Begehren, Wissen, Glauben, Lieben formen das Menschenbild und das Bewusstsein der Endlichkeit, das den Schleier der Melancholie über das Antlitz legt, etwa im traumhaften «Doppelporträt». Aus dem Blick des Älteren, der den symbolträchtigen Granatapfel in der Hand hält, spricht die Erfahrung der Enttäuschung. Sein In-sich-Gehen scheint der erwartungsvollen Haltung des Jüngeren Einhalt zu gebieten. Daneben muten «Die drei Lebensalter» wie eine Parabel des menschlichen Seins an, schlicht und ohne jede Rhetorik zeigen die Halbfiguren den Lauf des Lebens, vom jugendlichen Wissensdrang über die Reife des Mannesalters zur weisen Erkenntnis der Vergänglichkeit des Alters. In dieser zeitlosen Darstellung liegt die Modernität, der wahre Mythos von Giorgione.

Giorgione. Castelfranco Veneto, Casa Museo Giorgione. Bis 11. April 2010. Katalog (Skira) € 68.–.

~ von Panther Ray - Februar 5, 2010.

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