Christen Købke

aus: Neue Zürcher  Zeitung, 1. 6. 2010

Fast immer ein Sommerhimmel

«Christen Købke: Danish Master of Light» in der National Gallery London

Die Londoner National Gallery feiert die Wiederentdeckung von Christen Købke in einer eindrucksvollen Retrospektive. Damit würdigt zum ersten Mal eine Werkschau ausserhalb Dänemarks den Maler.

Von Marion Löhndorf

Nach allem, was man weiss, war Christen Købke ein schüchterner Mensch, der keine grossen Ansprüche an seine äussere Existenz stellte. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er einmal als bedeutendster dänischer Maler des dänischen «Goldenen Zeitalters», einer kulturellen Blütezeit nach den napoleonischen Kriegen, gefeiert würde: Zu Lebzeiten (1810-1848) blieben ihm Erfolg und Anerkennung weitgehend versagt. Mitglieder seiner grossen Familie sowie seine Künstlerfreunde gehörten zu seinen wichtigsten Kunden – obgleich auch der König eines seiner Bilder erstanden hatte. Ein verkanntes Genie war er vielleicht nicht, sicher aber ein stiller, unterschätzter Visionär. Oft haderte er mit seinem Talent, er konnte sich und seine kleine Familie nur knapp ernähren und starb jung, mit 37 Jahren, an Lungenentzündung. Danach geriet er lange Zeit in Vergessenheit.

Eine Entdeckung

Heute wird Købkes Werk seiner meisterhaften Behandlung von Licht und Schatten, der unmittelbaren Wirkung seiner Landschaften und Porträts und seiner eigenwilligen, in die Zukunft weisenden Motive und Perspektiven wegen geschätzt. Erst jetzt wird ihm eine erste Ausstellung ausserhalb Dänemarks gewidmet, die einen Überblick über sein Schaffen erlaubt. Die 48 in der Londoner National Gallery gezeigten Werke sind eine Entdeckung.

Häufig hatte man ihm seine Vorliebe für scheinbar unbedeutende Motive, die fehlende Abenteuerlust, den Mangel an Heroischem und Erhabenem vorgeworfen. Eine Studienreise nach Italien trat er 1839 nur widerwillig auf Drängen seiner Künstlerfreunde und Mentoren an: Die davon angeregten Gemälde gehören zu den am wenigsten strahlkräftigen und authentisch wirkenden seines rund 300 Werke umfassenden Oeuvre.

Seine Motive suchte Christen Købke am liebsten in seiner Heimatstadt Kopenhagen und Umgebung. Die Schauplätze seiner Bilder konnte er zu Fuss erreichen, sie lagen meist gleich vor seiner Haustür. Der tiefgläubige Købke sah im Alltäglichen und im scheinbar Nebensächlichen die Schönheit göttlicher Schöpfung. Auch die oft ungewöhnlichen Bildausschnitte und Perspektiven, die das Unbedeutende auf ein Podest stellten, stimmten selten mit dem Geschmack seiner Zeitgenossen überein.

So wundert es kaum, dass es aufgrund der veränderten Sehgewohnheiten und Denkmuster der Nachwelt vorbehalten blieb, den Maler zu entdecken, der – seinen Briefen nach zu urteilen – mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort haderte und am liebsten in Bildern dachte. Typischerweise ist seinen Werken das Narrative eher fremd: Es sind Momentaufnahmen einer auch in den Bildtiteln geografisch genau bezeichneten Wirklichkeit wie «Die nördliche Zugbrücke der Zitadelle in Kopenhagen» (1837), «Schloss Frederiksborg nahe der Brücke von Møntbro» (1836) oder «Zigarrenverkäufer am Nordausgang der Zitadelle» (1830).

In seinen Bildern, die häufig von architektonischen Elementen in einen geometrisch geordneten Rahmen gesetzt werden, herrscht so wenig Bewegung, dass auf ihnen die Zeit stillzustehen scheint: Zwei Frauen stehen reglos auf einem Landesteg und blicken auf einen See, ein Ruderboot entfernt sich – dem kaum wahrnehmbaren Wellenschlag zu urteilen – langsam («Blick von Dosseringen am Sortedam-See nach Nørrebo», zirka 1838).


Auch die Menschen in «Die nördliche Zugbrücke der Zitadelle in Kopenhagen» (1837) haben es nicht eilig: Vier Knaben lehnen am Geländer und schauen auf den Fluss. Drei von ihnen sind nur in Rückenansicht zu sehen. Nur die langen Schatten des Brückenkopfes und der eines Baums ausserhalb der Bildfläche verweisen auf das Vergehen der Zeit, ebenso wie zwei winzige, halbverdeckte Figuren am anderen Ende der Brücke, die auf den Betrachter zugehen. – Jedes Detail ist mit der gleichen demokratischen Sorgfalt und Hingabe erfasst, von den Grashalmen bis zum Kopfsteinpflaster und zum bröckelnden Mauerwerk am rechten und linken Bildrand. Es ist, wie alle Bilder dieses Malers, ein Bild, das auch den Vorgang des Innehaltens und des genauen Sehens feiert, den Trost des – nur leicht idealistisch überhöhten – Sichtbaren.


Trotz ihrer Realitätsnähe und ihrer zeichnerischen Genauigkeit gehen Købkes Werke in ihrer Serenität, Stille und Intensität über die Darstellung der materiellen Welt hinaus. Andererseits streifen sie bei aller atmosphärischen Dichte höchstens die Vorliebe der romantischen Maler für die Übersetzung von Landschaften in seelische Stimmungsbilder. Købkes Landschaften erscheinen vielmehr wie meditative Betrachtungen einer verdichteten Gegenwart – mit fast hypnotischem Effekt.

Die Menschen seiner Umgebung

Die Direktheit seiner Landschaftsbilder findet sich auch in den Porträts, die grosse Vertrautheit mit seinen Modellen offenbaren. Er kannte den alkoholisierten ehemaligen Seemann mit seinen wässrigen Augen und dem rot geäderten Gesicht ebenso wie die Mutter eines von ihm verehrten Mentors, des Historikers Niels Laurits Høyen. Den Schwager malte er nach getaner Arbeit einen Zigarillo rauchend und den Künstlerfreund Wilhelm Marstrand mit einer Blume im Mund. Mit Einfühlungsvermögen, Intelligenz und nicht ohne Witz betrachtete der Maler die Menschen seiner Umgebung.


So wenig selbstbewusst, wie er wirkte, konnte Christen Købke übrigens nicht gewesen sein. Dafür sprechen seine kühnen Kompositionen. Schloss Frederiksborg malte er mehrfach: Einmal zeigt er das Schloss im rosigen Abendlicht einer konventionellen Monumentalperspektive. Es spiegelt sich im Wasser, das fast wie ein Schatten wirkt und der Baumasse am gegenüberliegenden Ufer zusätzliches Gewicht und Ansehen gibt. Dann aber steigt der Maler aufs Dach des Schlosses und kehrt die Perspektive um. Wiederum ist es das Einfache, das ihn mehr interessiert als das Imperiale. Hinter einem im Vordergrund aufragenden Türmchen und einem Schornstein blickt er weit hinaus aufs unter ihm liegende Land, auf die Felder und die schlichten Häuser – in einem atemberaubenden, grossformatigen Gemälde: Den grössten Raum auf der Leinwand nimmt, wie bei vielen seiner Landschaftsbilder, der Himmel ein. Fast immer ist es ein Sommerhimmel.


Christen Købke: Danish Master of Light. National Gallery, London. Bis 13. Juni 2010. Vom 5. Juli bis 3. Oktober in den National Galleries of Scotland in Edinburg. Katalog (Yale University Press, London) £ 12.95.

~ von Panther Ray - Juni 1, 2010.

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