Canaletto & Co.

•Dezember 2, 2010 • Kommentar verfassen

aus Neue Zürcher Zeitung, 2. 12. 2010

Unerschütterliche Eleganz

Canaletto und seine Rivalen: venezianische Vedutenmalerei in der Londoner National Gallery

Eine Ausstellung in London setzt Canalettos Werk in Kontext zu seinen Vorläufern, Nachfolgern und Rivalen. Die Werke zeigen Regatten, Feste und Zeremonien der «schwimmenden Stadt», vor allem aber ihre Architektur, vor deren Grösse und Pracht die Menschen nur fingernagelgross erscheinen.

Von Marion Löhndorf

In den Gemälden des jungen Canaletto (1697 bis 1768) ist der Himmel noch nicht so blank geputzt, die Stadtlandschaft noch nicht so aufgeräumt wie in seinen späteren Meisterwerken. Das war nicht etwa dem Zufall geschuldet oder seinem persönlichen Geschmack, sondern vor allem der Nachfrage. Canalettos Kunden bevorzugten den strahlenden Sommerhimmel einer postkartenschönen Stadt. Seine Kunden, das waren vor allem vornehme oder reiche englische Reisende, denen die Grand Tour durchs südliche Europa den letzten Schliff an klassischer Bildung und Geschmack geben sollte. Komplettiert wurden diese Bildungsreisen, die oft Monate, manchmal Jahre dauerten, durch die passenden Souvenirs. Venezianische Stadtansichten aus den Werkstätten ortsansässiger Meister gehörten als eine Art luxuriöser Vorläufer der Ansichtskarte zu den beliebtesten und prestigeträchtigsten Erinnerungsstücken. Und damit sie ins Gepäck der jungen Herrschaften passten oder versendet werden konnten, fertigte Canaletto, dem es ein Leichtes war, zwischen den Formaten zu wechseln, seine Bilder auf Bestellung gern in handlichen Grössen an.

Markt für Vedutenmalerei

Dafür, dass dessen Meisterschaft nicht nur im Verborgenen blühte, sorgte Joseph Smith, der britische Konsul in Venedig: Smith, ein Kunstkenner, Sammler und Verehrer Canalettos, wirkte zugleich auch als sein Agent. Er besass die besten Verbindungen und sorgte dafür, dass die Werke des Malers bekannt – und gekauft – wurden. Noch heute hängen die schönsten Canalettos in englischen Herrenhäusern – und in der Royal Collection des Buckingham Palace. Durch die Verbreitung von weniger kostspieligen Stichen brachte Smith das Geschäft seines Klienten zusätzlich in Schwung. Dass der Maler bereits in den 1730er Jahren eine personalstark besetzte Werkstatt einrichten konnte, gehörte zu den äusseren Zeichen seines Erfolgs. Erst rund zehn Jahre zuvor, in den frühen 1720er Jahren, sind seine ersten venezianischen Stadtansichten datiert. Schon um 1725 hatte der Maler und Berater für Kunstsammler Alessandro Marchesini ausgerufen: «Antonio Canale . . . versetzt in dieser Stadt alle in Staunen, die sein Werk sehen . . . man sieht die Sonne darin scheinen.»

Direkte Gegenüberstellungen

Dass der Canaletto genannte Giovanni Antonio Canal zwar für viele der hellste, aber nicht der einzige Stern der venezianischen Vedutenmalerei war, belegt einmal mehr eine Ausstellung in der National Gallery in London: Nicht zum ersten Mal wird Canaletto hier in Bezug zu anderen Malern gesetzt, die sich mit Venedig-Panoramen befassten. Doch die Londoner Ausstellung bezieht ihre Spannung aus der direkten Gegenüberstellung. Oft sind dieselben Ansichten, in denen sogar die Perspektiven übereinstimmen, nebeneinander zu sehen. So begab sich der junge Canaletto ganz bewusst in unmittelbare Konkurrenz zu seinem Vorläufer Luca Carlevarijs (1663-1730), der neben Gaspare Vanvitelli (1652/53-1736) als einer der «Erfinder» der venezianischen Vedutenmalerei galt, indem er dessen Kompositionen gelegentlich nicht nur übernahm, sondern zu übertreffen versuchte: Canalettos «Empfang des französischen Gesandten Jacques-Vincent Languet, Comte der Gergy, im Dogenpalast, 4. November 1726» (um 1727) steht in direkter Korrespondenz mit Carlevarijs‘ «Empfang des britischen Gesandten Charles Montagu, 4. Earl of Manchester, im Dogenpalast, 22. September 1707» (um 1707/08).


Canaletto nimmt dem Carlevarijs nachempfundenen Szenario den feinen grauen Nebel der Melancholie, frischt die Farben auf und dramatisiert Licht- und Schatteneffekte. Seine Figuren bewegen sich teilweise in farblich voneinander abgesetzten Gruppen, animiert und vielfältig. Carlevarijs hingegen griff für die Menschen in seinen Stadtpanoramen auf ein Skizzenbuch zurück und brachte bestimmte Figuren gern auch mehrfach in unterschiedlichen Gemälden zum Einsatz. Sein Verfahren, Bestandteile der Menge aus einem Musterbuch zusammenzustellen, verlieh seinen Figuren eine Tendenz zur Starrheit, was – im Vergleich zu Canaletto – zu einem Mangel an Atmosphäre führte.

Traumkulisse

Auch Canalettos Neffe, Bernardo Bellotto (1722 bis 1780), der den Stil seines Onkels und Lehrmeisters zu Beginn seiner erfolgreichen Karriere geschickt zu imitieren verstand, war Canaletto bei der Darstellung von Figuren unterlegen, wie sich im direkten Vergleich zeigt. Selbst die Hunde wirken in Bellottos Gemälden im Gegensatz zu denen des Onkels fast ungelenk: auch wenn sie oft weniger als fingernagelgross – also winzig klein – auf den Ansichten zu sehen sind, auf denen die Architektur das bestimmende Element bildet. Die

jeweilige Gegenüberstellung der Werke lädt zur Bewertung ein, lenkt aber auch den vergleichenden Blick auf Details und besondere Eigenheiten der Maler: die kräftigeren, schwärzeren Schatten, die Bellotto verwendete, das kühlere Blau seines Himmels, die eher kursorische Wiedergabe des Wassers, die Vorliebe für grössere Formate. – Einer der bedeutendsten Konkurrenten Canalettos war Michele Marieschi (1710-1743), der in kurzer Zeit ein umfangreiches Werk schuf: ein temperamentvoller Maler, von dem man annahm, dass er ohne Vorzeichnungen direkt auf der Leinwand komponierte, grosse Bereiche seiner Gemälde noch während der Arbeit veränderte und relativ schnell malte. Im Gegensatz zu Canaletto bevorzugte er überraschende Kompositionen, die unerwartete Grade der Verzerrung einbeziehen. Lange währte der Wettbewerb zwischen Canaletto und Marieschi nicht; Marieschi starb kurz nach seinem 32. Geburtstag.

Atmosphärische Dichte

Der Figurenmaler Francesco Guardi (1712 bis 1793) fand erst spät, um 1758, zur Vedutenmalerei. Sein eindrucksvolles Werk – das unter genauer Kenntnis desjenigen Canalettos entstand, ohne ihn stilistisch je zu kopieren – markiert ein letztes glanzvolles Schlusskapitel der Blütezeit des Genres: Der Markt der kaufkräftigen aristokratischen Touristen war bereits weitgehend erschöpft, als Guardi den Höhepunkt seines Schaffens erreichte. Guardi war nicht wie Canaletto an Präzision interessiert und an dessen majestätisch-klarer, optimistischer Sicht einer Welt von unerschütterlicher Eleganz, einer Welt, die in Ordnung ist. Guardis Venedig-Ansichten zeichnen sich weniger durch Akkuratesse als durch atmosphärische Dichte aus. Sein nervöser Pinselstrich, der seine Gebäude leicht erzittern zu lassen scheint, weist schon voraus auf die romantische Sensibilität des 19. Jahrhunderts. Guardis Werke erinnern an Rilke und Thomas Mann, die in der Stadt eine theatralische, fast unwirkliche Traumkulisse sahen. Canalettos Venedig als in gleissendes Licht getauchte Stätte der Perfektion und Schönheit war bei Guardi schon zum Ort der Vergänglichkeit geworden.


Venice: Canaletto and His Rivals. National Gallery, London. Bis 16. Januar 2011. Katalog (Yale University Press, London) £ 35.-.

Gauguin…

•November 7, 2010 • Kommentar verfassen

…ist der Nachwelt vor allem durch seine Südseebilder bekannt. Das wäre ihm wohl recht gewesen. Aber dass er auch ein starker Landschaftsmaler war, ist darüber in Vergessenheit geraten, und das ist mir nicht recht.

Siehe darum
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hier!

 

 

Nach Italien!

•November 5, 2010 • Kommentar verfassen

Der Himmel im «klassischen Land»

«Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770-1880» – eine Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe

Unter dem Titel «Viaggio in Italia» zeigt die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, wie die Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts im Süden die Idee vom Erhabenen in der Natur, den Kanon der klassischen Literatur und das Licht des Himmels suchten.

Von Lorenz Enderlein

Der Feuer speiende Vesuv des französischen Malers Pierre-Jacques Volaire bei Nacht, Philipp Hackerts Horaz-Knabe, im Schatten knorriger Eichen entschlummert – in den beiden Auftaktgemälden der Karlsruher Ausstellung «Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770-1880» verdichten sich die Facetten eines Italienbildes, das die Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts nach Süden führte: Die Idee vom Erhabenen in der Natur und von südlicher Idylle, der Kanon der klassischen Literatur, die naturwissenschaftliche Neugierde. Hinzu kamen die anhaltende Antikenbegeisterung und die Bewunderung für die italienische Kunstgeschichte, im fortschreitenden 19. Jahrhundert zunehmend auch die Faszination für Volkskundliches. Und immer wieder das Licht des südlichen Himmels, das, in der Klarheit der Wintertage oder in der Glut des Sommers, den Maler zwang, seine Auffassung von Landschaftsmalerei und den Umgang mit der Farbe zu revidieren.

Ein Stück eigene Geschichte

Wie kaum eine andere Einrichtung in der deutschen Museumslandschaft erscheint die Karlsruher Kunsthalle für die Ausrichtung einer solchen Schau prädestiniert. Der 1846 entstandene Bau und sein Fassadenprogramm zeugen von der Italienbegeisterung des badischen Grossherzogs Leopold und des Architekten Heinrich Hübsch (1795-1863). Auch ihr erster Direktor, der Maler Carl Ludwig Frommel (1789-1863), zehrte in seinem Werk von den Früchten seiner Italienaufenthalte. Schliesslich verwiesen die Ausbildungsziele der 1854 gegründeten Karlsruher Kunstschule immer wieder auf das Land südlich der Alpen.

Und man wird es – in Zeiten spektakulärer Wanderausstellungen und aufwendiger Leihverfahren – als eine besondere Tugend vermerken dürfen, wenn ein Haus eine solche Ausstellung ausschliesslich aus eigenen Beständen bestreitet, um auf diese Weise gleichzeitig ein Stück eigener Geschichte aufzuarbeiten. Im Vergleich zu der thematisch verwandten, vor einigen Jahren in München gezeigten Schau «Kennst Du das Land? Italienbilder der Goethezeit» ist das Thema in Karlsruhe weiter gefasst, umgreift die Entwicklungen eines Jahrhunderts und geht – zumindest punktuell – über das Phänomen der Landschaftsmalerei hinaus.

So etwa mit der Präsentation ausgewählter nazarenischer Kartons aus der bedeutenden Sammlung, die noch unter der Ägide von Hübsch und Frommel angelegt worden war. Die Arbeiten des in Rom lebenden Malers Friedrich Overbeck (1789-1869) oder die seines Freundes und Kollegen Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872) machen unmittelbar deutlich, wie direkt die Maler des Lukasbundes den Werken Peruginos und Raffaels huldigten, aber auch, wie bewusst sie sich angesichts einer thematischen Aufgabe an einem bestimmten historischen Vorbild orientierten. Ein Phänomen stilistischer Reflektiertheit, das Schnorr selbst einmal mit der Metapher umschrieben hat, die Kunst seiner Zeit habe «ihre Unschuld verloren».

Die gesonderte wirtschaftliche Vermarktung der Kartons war von den Künstlern meist schon mit einkalkuliert. Schnorr hoffte für seine grossformatigen Zeichnungen zum «Orlando furioso» im römischen Casino Massimo auf einen finanzkräftigen Lord, der den gesamten Zyklus erwerben sollte, um dann in England damit den originalen Raum nachzustellen. Dazu kam es nicht. Die Werke wurden schliesslich auseinandergerissen und gingen in zwei Teilen an das Frankfurter Städel und – über den befreundeten Hübsch – in die neu gegründete Karlsruher Kunsthalle.

Ästhetischer und qualitativer Höhepunkt des Rundgangs ist der Überblick über die deutsche Pleinair-Malerei von Blechen bis Böcklin, von den 1820ern bis in die 1850er Jahre. Der Betrachter wird gleich beim Eintritt in Carl Blechens (1798 bis 1840) lehmige Schlucht unterhalb des Benediktinerklosters Santa Scolastica in Subiaco hineingezogen. In erstaunlich modern anmutendem Pinselduktus und kühn nebeneinander gesetzten Farbwerten verarbeitete der Berliner Maler die Eindrücke seiner folgenreichen Italienreise von 1828/29. An diesem Bild müssen sich die anderen Arbeiten des Raumes messen lassen, in denen genau diesen malerischen Errungenschaften im künstlerischen Umfeld der badischen Residenz nachgespürt wird. Und es gelingt ihnen, vor allem den locker, mitunter fast monochrom kolorierten Arbeiten des Heidelbergers Ernst Fries (1801-1833), der in den 1820er Jahren an der Seite des Franzosen Camille Corot (1796-1875) die römische Campagna durchstreifte.

In ungewöhnlichen Ausschnitten und sensiblen Lichtstudien italienischer Motive sammelte auch der Karlsruher Akademiedirektor Johann Wilhelm Schirmer (1807-1863) auf Reisen Material für seine historischen Landschaften. Die Maler fanden sich – das macht die Ausstellung deutlich – immer wieder an den gleichen Orten der Umgebung Roms wieder, und es ist gerade deshalb reizvoll, zu beobachten, auf welche Weise etwa die künstlerischen Interessen von Fries und Schirmer angesichts eines identischen Bildausschnitts im Park von Ariccia auseinandergingen.

Die Nachfrage des anwachsenden Tourismus nach immer neuen Varianten eines bereits in den 1830er Jahren kanonisierten Motivrepertoires der Italienlandschaft dehnte sich auch auf Szenen aus dem Volksleben aus und zog eine Woge der Genremalerei nach sich. Neben dem Vergnügen an pittoresken Szenerien sollten die Bilder der Landbevölkerung in einheimischer Festtracht, von Fischern am Strand oder meditierenden Mönchen das Bild ursprünglichen Lebens vermitteln, das letztlich die mit der italienischen Landschaft verbundenen Paradiesvorstellungen komplettierte.

Zivilisationsferne

Den Künstlern der zweiten Jahrhunderthälfte wird Italien immer mehr zu einem Ort unerfüllter Sehnsüchte. Die nächste Generation der sogenannten Deutschrömer, den aus Speyer stammenden Anselm Feuerbach oder den Schweizer Arnold Böcklin, zieht es auf der Suche nach den Idealen von Ursprünglichkeit und Zivilisationsferne nach Rom und Kampanien. Risse und Spannungen prägen das Werk Feuerbachs, so auch das hoch stilisierte, monumentale Historiengemälde «Das Gastmahl des Plato», dessen erste Fassung 1890 für die Kunsthalle angekauft wurde und dort den Grundstein zur Einrichtung eines Feuerbachsaals bildete.

Auch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert brechen die Italienreisen der Künstler nicht ab. Die Vorstellung vom «klassischen Land» und die sich rasant entwickelnde italienische Zivilisation klaffen jedoch immer weiter auseinander. Symbolisch erscheint die Kampagne des Landschaftsmalers Edmund Friedrich Kanoldt (1845-1904) zur Rettung der berühmten Serpentara, des «heiligen Hains» der deutschen Maler von Olevano, im Jahr 1873. Seine Eichen hatten die Begehrlichkeiten der italienischen Eisenbahn geweckt. Am Ende der spektakulären Aktion wurde das Wäldchen durch das Deutsche Reich angekauft. Der «Viaggio in Italia» jedoch war längst ein anderer geworden.

Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770-1880. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Bis 28. November. Katalog: € 34.90.


aus: Gesellschaft Freunde der Künste

Künstler auf Reisen 1770 – 1880:

Viaggio in Italia

zeigt Werke von Jean-Honoré Fragonard, Joseph Anton Koch bis Anselm Feuerbach vom 11.9-28.11.2010 in Karlsruhe

Künstlerreisen nach Italien sind in der Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe durch eine immense Fülle von Werken belegt, von denen nun erstmals eine Auswahl vorgestellt wird. „Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770 – 1880“ zeigt mehr als 150 Skizzen und Zeichnungen, Aquarelle und Ölstudien, aber auch großformatige Kartons, Gemälde und Druckgraphik.

Vor allem Rom als internationales Kunstzentrum zog Künstler aus ganz Europa an und bildete ein Forum für einen regen Austausch unter Malern, Architekten und Bildhauern. So vereint die Ausstellung unter anderem Werke von Jean-Honoré Fragonard, Joseph Anton Koch, Bertel Thorvaldsen, Julius Schnorr von Carolsfeld, Carl Blechen, Camille Corot, Johann Wilhelm Schirmer, Arnold Böcklin und Anselm Feuerbach.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden Landschaftsmotive. Sie beginnt mit einigen Arbeiten französischer Künstler wie Claude Lorrain, Hubert Robert und Jean-Honoré Fragonard. Die jungen Stipendiaten der französischen Akademie in Rom durchstreiften die Campagna in der Nachfolge Lorrains, um zu zeichnen. Künstler wie Fragonard suchten nicht die unberührte, sondern die kultivierte Natur in Form von Parklandschaften, die sich als Kulisse für amouröse und gesellige Szenen eignete. Den französischen Werken werden Arbeiten von deutschen Künstlern wie Jakob Philipp Hackert, Wilhelm Friedrich Gmelin und Joseph Anton Koch gegenübergestellt, für die Italien vor allem aufgrund seiner historischen Dimension und seiner geschichtsträchtigen Stätten zum einzigartigen Anziehungspunkt wurde. Ihnen fehlte das Sammelbecken einer Akademie, doch knüpften sie vereinzelt Kontakte zu ihren Kollegen aus Frankreich und gründeten eigene Zirkel, in denen sie Ideen austauschten.

Angeregt durch naturwissenschaftliche Forschungen, interessierte die Natur in der Vielfalt ihrer Erscheinungen. Wasserfälle, Grotten und Felsmassive gehörten zu den bevorzugten Motiven, die man auf ausführlichen Wanderungen vor Ort studierte. Aus einzelnen Versatz-stücken wurden Landschaften komponiert, die ein harmonisches und ideales Ganzes bilden sollten. Eine Reihe von Druckgraphiken – die „Mahlerisch radierten Prospecte“ – zeugt davon, wie beliebt diese Sujets waren und wie weit sie verbreitet wurden.

Parallel zur Beschäftigung mit der Landschaft und der Antike ließen sich die Künstler im Umfeld der Nazarener von der Malerei der italienischen Frührenaissance inspirieren. In großformatigen Kartons, die als Entwürfe für Fresken dienten und nur wenige Jahre vor der Eröffnung der Kunsthalle erworben wurden, widmeten sich Künstler, unter ihnen Julius Schnorr von Carolsfeld, literarischen Themen wie den großen Epen des Ariost. Zugleich wandten sie sich verstärkt christlichen Motiven zu und schufen verinnerlichte, tief religiöse Kompositionen, die mit Werken von Marie Ellenrieder und Johann Friedrich Overbeck beispielhaft vertreten sind.


In den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Blick auf die Natur. Die Aquarelle, Ölstudien und Zeichnungen von Carl Blechen oder Ernst Fries spiegeln die Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Natur und die Suche nach einer malerischen Umsetzung des südlichen Lichtes. Dabei faszinierte ein knorriger Baumstamm ebenso wie die Ruine eines antiken Tempels oder eine dramatische Schlucht von Carl Blechen („Blick auf das Kloster Santa Scolastica bei Subiaco“, 1832). Mit Bleistift, in Aquarell oder auch in Öl werden die Eindrücke unmittelbar vor dem Motiv festgehalten. Derartige Studien – beispielsweise auf Capri – werden für Ernst Fries ebenso wie für seinen französischen Kollegen Camille Corot, dem er in Italien begegnete, zum Ausgangspunkt späterer, nach der Rückkehr entstandener Werke.

Von besonderem Interesse für die reisenden Künstler war immer wieder auch der Blick auf das ländliche Leben. Häufig idealisierten sie es als sorgenfreies geselliges Dasein unter südlicher Sonne. Während viele Künstler das Anekdotische in solchen Darstellungen suchten, gestaltete ein so herausragender Porträtist wie Franz Xaver Winterhalter seine „Römische Genreszene“ (1833) als ein Sinnbild von Schönheit und Jugend. Der Spätromantiker Anselm Feuerbach idealisierte seine Lebensgefährtin Nanna Risi 1861 in einem Bildnis zu einer antikisch anmutenden Gestalt.

Ihre Fortsetzung findet die Landschaftstradition in den Werken Johann Wilhelm Schirmers, der 1839/40 nach Italien reiste. Auf der Suche nach Motiven zeichnete und malte er im Freien. Dabei geben seine Arbeiten nicht immer einen spontanen Natureindruck wieder. Viele seiner Ölstudien komponierte er sorgfältig und überarbeitete sie zum Teil mehrfach. Schirmer, der erster Direktor der Karlsruher Akademie wurde, prägte als Lehrer mit seiner Italienbegeisterung die nachfolgende Künstlergeneration entscheidend.

Zu seinen Schülern – damals noch an der Düsseldorfer Akademie – gehörte nicht zuletzt Arnold Böcklin, für den Italien zur werkbestimmenden Inspirationsquelle und wiederholt zum Lebensmittelpunkt wurde. Für die jüngere Künstlergeneration, zu der Emil Lugo und Edmund Kanoldt zählten, blieb die Landschaftsmalerei der vorangegangenen Jahrzehnte vorbildlich.

Ein eigener Raum ist den Karlsruher Architekten gewidmet, die nach Italien reisten und dort nicht nur die Bauwerke skizzierten, sondern auch malerische Ansichten schufen. Die Spannbreite reicht von Friedrich Weinbrenner, der das Stadtbild Karlsruhes um 1800 mit seinen Bauten wesentlich bestimmte, bis hin zu Josef Durm, dessen Formensprache sich nicht mehr an der klaren Strenge der Antike orientierte, sondern durch die überbordende Dekorationsfülle des Manierismus beeinflusst wurde.

Die Karlsruher Ausstellung schöpft aus einem Fundus, der bereits vom badischen Fürstenhaus angelegt wurde. Vor allem Großherzog Leopold, der Italien als junger Mann auf seiner „Grand Tour“ gründlich kennengelernt hatte, förderte Künstler, vergab Reisestipendien und erwarb italienische Ansichten. Als Bauherr der Kunsthalle in Karlsruhe wählte Leopold mit Heinrich Hübsch einen Architekten, dessen Stil auf klassische Vorbilder der italienischen Baukunst referierte. Das Gebäude bildet somit einen idealen Rahmen für eine Ausstellung,in der der Italiensehnsucht jener Zeit nachgespürt wird.

Monet im Grand Palais.

•Oktober 22, 2010 • Kommentar verfassen
gekürzt aus Neue Zürcher Zeitung, 21. Oktober 2010
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In der Naherholungszone

Eine grosse Retrospektive zu Claude Monet im Pariser Grand Palais

Claude Monet hat das Licht studiert, um den Effekt seiner Bilder zu optimieren und so Gegenwelten anzubieten, in denen sich der Blick von den Zumutungen des modernen Lebens erholen kann. Das lässt sich derzeit gut in Paris überprüfen.

Von Samuel Herzog

Wenn wir einen von grün leuchtenden Bäumen gesäumten Fluss, einen Seerosenteich oder auch nur einen Garten voller Blumen sehen, dann bildet sich auf unseren Lippen neben allerlei Seufzern des Wohlgefallens auch gelegentlich der Satz: «Das ist ja fast ein Monet.» Der Name «Monet» wird dabei gleichsam zu einem Synonym für das etwas schwierige Wort «schön». Interessant ist aber vor allem auch das «fast». Es meint einerseits, dass uns Bäume, Garten oder Teich «fast» wie gemalt erscheinen. Andererseits sagen wir damit aber auch, dass das Stück Welt vor uns zwar schön sei, aber doch nicht ganz so schön wie bei Monet.

Wie prachtvoll die Welt bei Monet ist, zeigt derzeit eine Schau im Pariser Grand Palais (bis 24. Januar 2011) – mit 176 Gemälden eine der umfangreichsten Ausstellungen, die dem Maler in den letzten Jahren gewidmet worden sind. Natürlich fehlen trotzdem ein paar wichtige Bilder – die eponyme «Impression, soleil levant» von 1872 etwa hat das Musée Marmottan nicht verlassen dürfen, die berühmte «Japonaise» ist in Boston geblieben, usw.

«Monet», wie die Ausstellung ebenso schlicht wie gewaltig heisst, ist nicht chronologisch geordnet, sondern nach Themen: Sie beginnt mit den Seestücken aus der Normandie und führt über «Argenteuil et les environs de Paris» nach Vétheuil (1878–1881), um wieder an den Atlantik zurückzukehren, dann «Sur les rives de la Méditerranée» zu verweilen und nachher die Belle-Ile-en-Mer und la Creuse anzulaufen. Es folgen Kapitel zum Stillleben, zu den Figurenbildern und Porträts, zu den seriellen Werken der 1890er Jahre (Heustöcke, Pappeln in Giverny, die Kathedrale von Rouen, die japanische Brücke in seinem Garten in Giverny). Eine nächste Abteilung versammelt besonders romantische Szenen unter dem Titel «Sous l’emprise des souvenirs, du rêve et de la nostalgie», dann folgen London, Venedig, Garten- und Seerosenbilder sowie zuletzt «L’envolée des Nymphéas». Die Ausstellung zeigt ausschliesslich Gemälde und keinerlei Skizzen, kaum Fotos und nicht ein einziges Dokument. Sie macht damit deutlich, dass sie keine didaktischen Absichten verfolgt und keine Studienausstellung sein will: Es geht schlicht um impressionistische Prachtentfaltung, um ungebremste Monetmentalität.

Dass die Wirklichkeit, heute zumindest, nie so schön ist wie bei Monet, hat zunächst natürlich damit zu tun, dass Bilder meist nur einen optimalen Ausschnitt der Welt präsentieren – eine Konzentration auf eine bestimmte Perspektive, die in der Regel alles Störende auslässt: die Autobahn in unserem Rücken, die Teenager mit ihrem Ghetto-Blaster neben uns, die mit Schlamm gefüllte PET-Flasche zu unseren Füssen. Gern und oft hat die Kunstgeschichte darauf hingewiesen, dass auch bei Monet gelegentlich am Horizont unendlicher Getreidefelder ein Fabrikschlot erscheint (zum Beispiel in «Chemin dans les vignes, Argenteuil» von 1872) – aber er erscheint eben meist am Horizont, in einer anderen, fernen Realität. Selbstverständlich hat Monet auch städtische Szenen gemalt. Aber gerade dort, wo das beginnende Industriezeitalter am heftigsten pocht, in einem Bahnhof nämlich, wo die Lokomotiven ein und aus rattern, interessiert er sich eigentlich nur für Dampf und Rauch, also gewissermassen für jenen Teil der neuen mechanischen Welt, der so etwas wie ein Naturphänomen produziert. Als er 1877 in der Pariser Gare Saint-Lazare malte, sollen die Loks auf seinen Wunsch hin gar zusätzlichen Dampf abgelassen haben.

Der kostbare Moment

Interessant sind vor diesem Hintergrund auch einige seiner Figurenbilder – allen voran «Camille Monet sur son lit de mort» von 1879. Die Frau, die der Maler 1870 geheiratet hat, liegt mit geschlossenen Augen und offenem Mund da, bleich in einem Meer aus Laken. Ihr Körper ist unter den weissen, rosafarbenen, gräulichen und bläulichen Strichen, mit denen Monet die Bettlaken gemalt hat, kaum mehr als eine Ahnung. Monet malt seine sterbende Gattin also im Grunde wie eine Schneelandschaft, wie «La Pie» von 1869 etwa, wo die Strukturen der Landschaft unter dem Schnee nur noch Andeutung sind und sich das Licht des Himmels mit seinen bläulichen und rosafarbenen Schattierungen im Weiss der Decke bricht.

Dass uns die Welt bei Monet oft besonders schön erscheint, hat auch mit den Momenten zu tun, die er für seine Bilder wählt: Oft sind es besonders flüchtige Zustände und auch solche, in denen sich die Landschaft bis zu einem gewissen Grad entzieht. Er malt die Klippen von Etretat bei Sturm («Grosse mer», 1869), den Hafen von Le Havre bei Nacht (1873), begeistert sich für das Aufbrechen des Eises bei Vétheuil (1880) und immer wieder natürlich für die Abendstimmung, den Sonnenuntergang: von der «Seine à Bougival» von 1870 bis zu den letzten Bildern aus Giverny. In «Soleil d’hiver, Lavacourt» von 1880 interessiert ihn das alle Formen der Landschaft verschleiernde Licht der späten Wintersonne, und in Varengeville malt er zur Mittagsstunde, wie hellste Sonne die Nuancen verschluckt («Petit Ailly», 1897). Immer wieder begeistert er sich für Dunst und Nebel, vor allem natürlich in seinen Serien aus London, aber auch an der Seine entstehen manch zauberhaft verhangene Flusslandschaften, und sogar in Venedig hat sich zwischen Monets Blick und die Paläste ein seltsamer Schleier gelegt.

Was flüchtig ist, das kommt uns oft besonders wertvoll vor – und was sich vor unserem Blick halb verbirgt, scheint uns besonders interessant. Monet hat diesen Umstand genutzt, um Bilder zu schaffen, in denen sich unser Auge wohl fühlt, in denen uns die Welt so berührt und beruhigt wie in einer schönen Parkanlage. Natürlich hat er die Effekte des Lichts studiert – sicher aber auch mit dem Ziel, den Effekt seiner Bilder zu optimieren. Vielleicht hat er die Natur auch analysiert – vor allem aber hat er sie als Maler dirigiert, sie sich apropriiert, seine Vorstellungen auf sie projiziert. Gewiss war Monet ein «Peintre de la vie moderne» (Baudelaire) – vor allem aber war er auch einer, der mit seinen im besten Licht erscheinenden Landschaften, Gärten und Blumen dem Blick Erholung bot von den Anstrengungen ebendieser «vie moderne». Monet war einer, der mit viel Geschick Naherholungszonen für die Wand schuf – was seine Zeitgenossen ebenso zu schätzen wussten wie die Besucherströme, die sich heute durch den Grand Palais drücken. Wer sich die Zeit nimmt, im Anschluss an die Ausstellung Monets «Nymphéas» in der nahen Orangerie zu besuchen, staunt dann doch, wie weit er dabei gegangen ist.

The Good, the Bad and the Ugly

Wenn es in der Kunstgeschichte das Gute gibt, dann sind das zweifellos die Impressionisten, die uns heute fast als die Verteidiger einer modernen Welt vorkommen – wobei ihre Moderne wenig mit den Schrecken der Industrialisierung zu tun hat und eher ausserhalb der wüsten Zonen unserer Städte stattfindet: Pleinairismus statt stinkender Schlote, eine Bio-Moderne sozusagen. …

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Nota.

Lieber Leser, Sie werden finden, dass die Bilder, die ich für diesen Eintrag ausgewählt habe, nicht recht zum Tenor des Textes passen. Ich nehme auch an, dass sie nicht im Grand Palais hängen. Dort wird man andere gewählt haben. Sonst hätte der Autor der NZZ einen andern Text schreiben müssen.

Mit andern Worten, auch die Mitarbeiter der NZZ greifen manchmal daneben.

J. E.

Corot.

•Oktober 14, 2010 • Kommentar verfassen

aus: NZZ, 12. 10. 2010

Revolutionär ohne Gegner

Das Genfer Musée Rath präsentiert «Corot en Suisse»

Das Genfer Musée d’art et d’histoire feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Der Höhepunkt des Jubiläums ist zweifellos die Ausstellung «Corot en Suisse», die derzeit im Musée Rath zu sehen ist.

Von Marguerite Menz

Schon 1859 hatte der Kanton Genf anlässlich der «Exposition cantonale des Beaux-Arts» die ersten zwei Bilder des Meisters angekauft: «Nymphe couchée dans la campagne ou Le repos» und «Rêverie sur l’étang (Un soir à Ville d’Avray)». Es war zum zweiten Mal, dass sich Corot an dieser Ausstellung beteiligt hatte. 1857 war ihm dabei die höchste Auszeichnung, die Ehrenmedaille, verliehen worden – trotz dem Widerstand des Genfer Malers François Diday, der meinte, «que l’on attache un pinceau à la queue de mon chien, il en saura faire autant». Inzwischen ist die Corot-Sammlung des Museums dank verschiedenen Schenkungen auf vierzehn Gemälde, eine Zeichnung und vierzig grafische Blätter angewachsen. Dass ausgerechnet im vergangenen Juni dank der Hilfe zweier privater Stiftungen mit «Jeune Femme à la Fontaine» (um 1860) ein weiteres wichtiges Werk erworben werden konnte, ist ein Glücksfall; eine sogenannte «Figure de fantaisie» hatte bisher in Genf noch gefehlt.

Jean-Baptiste Corot (1796-1875) war der Schweiz sehr verbunden. Sein Grossvater mütterlicherseits, der als Gardist am Hof von Versailles gedient hatte, stammte aus dem Kanton Freiburg. Seine Mutter, Marie-Françoise Oberson, führte in Paris ein Damenhutgeschäft. Doch allein aufgrund seiner familiären Wurzeln, die von der französischen Kunstgeschichte gerne übergangen werden, lassen sich die zahlreichen Aufenthalte in der Westschweiz nicht erklären. 1825, bei seinem ersten Aufenthalt in Rom, hatte er den Neuenburger Maler Léopold Robert kennengelernt, es folgte bald der Genfer Jean-Gabriel Scheffer, später u. a. Barthélemy Menn. Der von Natur aus gesellige Corot mochte es, Künstlerkollegen um sich zu scharen und gemeinsam im Freien zu malen: in Barbizon wie im Genfer Winzerdorf Dardagny oder auf dem Schloss Greyerz.

Anders als bei vielen Zeitgenossen, die im 19. Jahrhundert die Schweiz bereisten, galt das Interesse Corots nicht dem Alpenland mit seinen erschreckend hohen Gipfeln, Gletschern und tosenden Wildbächen. Die verschneiten Berge rücken in die Ferne, hinter die sanften Hügel und die saftig grünen Baumgruppen, weit weg von See oder Stadt. Die Schweizer Bilder, darunter eine frühe Ansicht von Lausanne (1825), Genf von der Rhone aus gesehen mit einer geheimnisvollen leeren, schwarzen Barke (1834), «Le quai des Pâquis à Genève» im Sonnenlicht (um 1842) oder die zauberhafte Landschaft mit Bauernhaus, «Une ferme de Dardagny» (1855-1857), bilden den ersten Teil der Ausstellung im Musée Rath. Doch hat «Corot en Suisse» einen doppelten Sinn. Im zweiten Teil der grossen Schau sind nämlich ausschliesslich Werke aus Schweizer Kollektionen versammelt. Sie sind so zahlreich und vielfältig, dass daraus recht eigentlich eine Retrospektive entstanden ist. Corot gilt als Künstler an der Schwelle zwischen Klassik und Moderne; daher ist es nicht erstaunlich, dass er sowohl von Sammlern alter Kunst wie von Liebhabern neuerer Kunst geschätzt wird.

Als Corot sich sechsundzwanzigjährig entschloss, Künstler zu werden, gab es in Paris keine Landschaftsmaler von Bedeutung. Der gleichaltrige, begabte Achille-Etna Michallon, dessen Atelier er besuchte, starb schon 1822. Es waren die alten Meister, Claude Lorrain und Nicolas Poussin, und vor allem die Jahre in Rom 1825 bis 1828, die seine Kunst massgeblich geprägt haben. Gemälde aus dieser Zeit wie der Palazzo Chigi in Ariccia oder der Monte Pincio in Rom zeigen einen eigenwilligen, von breiten Flächen und Helldunkelkontrasten bestimmten Stil. Gerade bei Stadtansichten ist Unspektakuläres, eine Mauer oder ein Erdhügel, ebenso wichtig wie ein Palast oder eine Kirche. Die Baumstudie aus dem Park der Villa d’Este in Tivoli (1843), ehemals im Besitz von Edgar Degas, nähert sich schon beinahe der Abstraktion. Beim reifen Corot werden die immer noch nach klassischen Regeln aufgebauten Landschaften stimmungsvoller. Die Natur, Bäume, stille Wasser, der Himmel, eingetaucht in ein diffuses Licht. Gegenstände und Menschen sind nur undeutlich zu erkennen, manchmal reduziert auf einen kleinen roten Punkt inmitten eines blaugrünen oder braunen Farbenschleiers. Diesen undramatischen Landschaften im Wesen verwandt sind auch die Figurenbilder. Das junge Mädchen mit dem Blumensträusschen wirkt still und in sich gekehrt, auch die melancholische Odaliske und sogar die geradezu monumentale Italienerin am Brunnen aus dem Kunstmuseum Basel.

Jean-Baptiste Corot ist kein Maler des Erhabenen. Seine Bilder spiegeln das Alltägliche und Vertraute. Der Kunsthistoriker Rudolf Zeitler schrieb über ihn: «Er war Revolutionär, ohne gegen jemanden zu revoltieren.» War er also nicht schweizerischer, als man es in Frankreich wahrhaben will?

Corot en Suisse. Musée Rath, Genf. Bis 9. Januar 2011. Katalog.

Nota.

Corot ist mein nächstes großes Vorhaben. Er war neben… na ja, nach Turner der zweite große Revolutionär der europäischen Malerei. Man sieht es allerdings erst auf den zweiten, dritten, vierten Blick…

Einstweilen hänge ich noch an den deutschen Romantikern fest, die eigentlich zu meinem Thema gar nicht viel beitragen; namentlich an Carl Blechen: Darf ich über den schreiben, ohne die Frage aufzuwerfen, ob er ‚eigentlich überhaut noch ein Romantiker war‘ – und woran man das gegebenfalls erkennen kann? Aber das gehört doch nicht zu meinem Thema und ist vielleicht ohnehin eine müßige Frage.


Carl Wilhelm Kolbe

•September 12, 2010 • Kommentar verfassen
11. September 2010, Neue Zürcher Zeitung

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Riesenkräuter und Monsterbäume

Druckgrafik und Zeichnungen von Carl Wilhelm Kolbe im Kunsthaus Zürich

Wer war Carl Wilhelm Kolbe? In einer kleinen Ausstellung im Kunsthaus Zürich lässt sich der «Surrealist avant la lettre» wiederentdecken. Vor 200 Jahren kam der Radierer aus Dessau nach Zürich, um die Gouachen Salomon Gessners zu kopieren.

Von Urs Steiner

Eine Ausstellung von Druckgrafik hat für ein Museum selten das Potenzial eines Publikumsmagneten. Die kleine Schau im Kabinett des Kunsthauses Zürich über den exzentrischen Landschaftsgrafiker Carl Wilhelm Kolbe (1759–1835) jedoch könnte sich als Ausnahme von der Regel erweisen. Denn der Hofkupferstecher im Dienste des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau hat im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Blätter geschaffen, deren ästhetische Wucht auch heute noch fasziniert. Ihre kunsthistorische Bedeutung hingegen wurde erst im 20. Jahrhundert nach und nach erkannt und verstanden.

Lustvolles Wuchern

Carl Wilhelm Kolbe, ein Verehrer Salomon Gessners, reiste im Sommer 1805 auf Einladung der Familie des Dichters, Malers und Verlegers für zuerst zwei Jahre nach Zürich, um die Gouachen aus dem Nachlass des Universalgenies als Radierungen zu kopieren – es wurden dann drei Jahre daraus. In Salomon Gessner erkannte Kolbe einen Geistesverwandten, hatte der Zürcher doch in seinem letzten Lebensjahrzehnt frei erfundene Gouache-Landschaften geschaffen.

Der aufgeklärte deutsche Fürst gewährte seinem bei Hofe angestellten Künstler diese Studienreise nach Zürich nicht zuletzt aus bildungspolitischen Gründen: Leopold wollte Dessau als Zentrum zeitgenössischer Grafik etablieren – und dazu gehörte die Publikation günstiger Blätter mit Motiven klassischer Meisterwerke.

Der in Berlin geborene Künstler Carl Wilhelm Kolbe hatte nach einem eher lustlos absolvierten akademischen Figurenstudium die künstlerische Freiheit in Radierungen phantastischer Landschaften gefunden. Auf seinen Darstellungen liess er lustvoll «Riesenkräuter und Monsterbäume» spriessen. Seine surrealistisch anmutenden Landschaften mit hypertropher Vegetation sind einerseits akribisch beobachtete Darstellungen der Natur, anderseits wuchern bei ihm die Gewächse ins Monumentale und Groteske.

Kein wirklicher Wald

Die Inspiration dazu holte sich Kolbe auf täglichen Waldspaziergängen, wo er sich die Formen und Schattierungen der Vegetation einprägte und daraus seine eigene Flora in frei erfundenen Szenerien schuf. Nichts ist bei ihm wie im wirklichen Wald – ausser dem Geist des üppigen Lebens. Selbst die abgebildeten Architekturfragmente sind seltsam zeit- und ortlos, lassen sich nicht einordnen. Durch diese Absage an die akademische Kunst des mimetischen Nachahmens drückt sich allerdings auch eine politische Haltung aus – die geradezu modern anmutende Hoffnung auf eine neue Freiheit.

In Zürich fiel der Exzentriker aus dem Norden Deutschlands durchaus positiv auf: Wie Bernhard von Waldkirch, Kurator der Ausstellung im Kunsthaus, erklärt, war Kolbe in Zürich so beliebt wie stadtbekannt. In der Limmatstadt erlebte der Künstler, wie er in seiner Autobiografie später schrieb, die glücklichste Zeit seines Lebens. Die Gesellschaft der Künstler und Kunstfreunde Zürichs, wie sich die Zürcher Kunstgesellschaft damals noch nannte, führte ihn ins kulturelle Leben ein. Im Protokoll der Vereinigung wurde Kolbe anlässlich seiner Rückkehr nach Deutschland entsprechend aufs Herzlichste verabschiedet und zum Ehrenmitglied auf Lebenszeit ernannt. Kolbe bedankte sich mit der Kreidezeichnung eines geheimnisvollen toten Weidenstamms – einem Werk, das danach während 200 Jahren praktisch unbemerkt in der Grafischen Sammlung des Kunsthauses schlummerte.

Höhlungen und Knospen

Erst mit der Werkschau zu Carl Wilhelm Kolbe, von der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau konzipiert und in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus realisiert, erwachte das Interesse an dem knorrigen Gewächs, das mit seinen unzweideutigen Höhlungen und knospenden Rinden geradezu pornografische Assoziationen erzeugt.

Der Zürcher Baumstrunk korrespondiert mit zwei knapp dreissig Jahre später entstandenen Radierungen von toten Eichenstämmen, die im Zentrum der Ausstellung stehen. Winzige Figuren unter den Baumleichen auf diesen Grafiken illustrieren die Grössenverhältnisse, betonen aber auch die Unausweichlichkeit des Zerfalls einst mächtiger Gehölze. Dass mit der Darstellung auch Trauer über den Verlust des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einherging, das unter dem Druck der napoleonischen Kriege während Kolbes Aufenthalt in Zürich 1806 zusammengebrochen war, kann als versteckte politische Dimension des Stumpfes verstanden werden.

Steter Hinweis auf den Tod

Das Vanitas-Motiv erscheint aber bereits in früheren Bildern mit ihren stets etwas «angefressenen», leicht welken Riesenblättern, unter denen sich Liebende zum Turteln finden. «Ergänzt und gestört werden die mal zartfühlenden, mal erotischen Verweise auf die Liebe durch den steten Hinweis auf Tod und Vergänglichkeit», schreibt Agnes Thum im dichten, reich bebilderten Ausstellungskatalog. Trauermonumente wie Urne, Amphore und Sarkophag seien hier ebenso zu nennen wie die Überwucherung und die melancholische Typisierung der elegischen Einzelfiguren.

Namhafte Kunsthistoriker beleuchten im Katalogbuch das Lebenswerk Carl Wilhelm Kolbes aus allen Winkeln so facettenreich, dass man die Ausstellung nach der Lektüre gerne ein zweites Mal besuchen möchte. Unerwartet ist dem Kunsthaus mit dieser Ausstellung somit ein «Blockbuster» gelungen. – Schön wär’s jedenfalls.

Zürich, Kunsthaus, bis 28. November. Katalog Fr. 59.–.

aus: Mitteldeutsche Zeitung

Kolbe erfährt überfällige Würdigung

erstellt 26.11.09, 20:10h, aktualisiert 26.11.09, 21:07h

DESSAU/MZ/SB. Es ist selten, dass ein Fazit vorweggenommen wird. Norbert Michels tut es trotzdem. „Mit dieser Ausstellung wird Carl Wilhelm Kolbe zu einem festen Begriff in der Kunstgeschichte um 1800 herum“, sagt der Direktor der Anhaltischen Gemäldegalerie und macht ein kurze Pause, um dann einen Satz anzufügen. „Das war längst überfällig.“

Anlässlich des 250. Geburtstages Kolbes wird am Sonnabend, 18 Uhr, im Festsaal des Schlosses Georgium eine große Jubiläumsausstellung eröffnet, die bis 31. Januar 2010 in der Orangerie zu sehen sein wird und schon jetzt als eine kleine Sensation gilt. „Wir können mit vielen Werken aufwarten“, kündigt Michels an, „die bislang noch gar nicht bekannt sind.“ 145 sind insgesamt zu sehen.

Der 1759 geborene Carl Wilhelm Kolbe ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der deutschen Kunst um 1800 – und doch bislang noch relativ unbekannt. „Es gab eine Dissertation aus den frühen 70er Jahren und noch eine Magisterarbeit“, sagt Michels. Doch es brauchte das jetzige Jubiläum für intensivere Forschungen.

Der einst am Philanthropinum in Dessau tätige Künstler wurde zunächst durch die Idyllen des Schweizer Maler-Poeten Salomon Gessner bekannt, dessen Gouachen er kongenial in Radierungen umgesetzt hat. „Doch Kolbe ging mit seinem eigenen künstlerischen Schaffen weit über die ausgetretenen Pfade der arkadischen Idylle des 18. Jahrhunderts hinaus“, sagt Michels. Neben seinen Baumdarstellungen aus der Auenlandschaft des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, die ihm den Spitznamen „Eichen-Kolbe“ einbrachte, habe der Künstler durch die Darstellung einer sich verselbstständigenden Natur überrascht. „Den ewigen Zyklus des Werdens und Vergehens der Natur schildert Kolbe ebenso mit erotischen wie skurril-bedrohlichen Fantasien“, analysiert Michels. Kolbes zukunftsweisendes Programm habe darin bestanden, die Wirkkräfte der Natur durch Überwindung der realen Maßstäbe ausdrucksstärker zu erfassen, um so das ursprüngliche und uneingeschränkt Schöne von Fauna und Flora aufzudecken. „Durch seine nahezu surrealen Szenerien hat er eine in Richtung der Moderne weisende Initialzündung für die Überwindung der klassischen Landschaftsauffassung geleistet.“

Der Ausstellung gingen Forschungen voraus, die Gelder des Ernst-von-Siemens-Kunstfonds (43 000 Euro), des Landes (17 000 Euro) und der Stadt (17 000 Euro) ermöglicht haben und die zu manchen Überraschungen führten. Im Geheimen Staatsarchiv Berlin und im Zentralarchiv der Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wurden 300 bislang unbekannte Manuskripte entdeckt, die Einblicke in Kolbes Denken gaben und ihn als ausgesprochen politisch und patriotisch motivierten Menschen erscheinen lassen. „Wir wissen beispielsweise endlich, wie Kolbe zum Fürsten stand“, sagt Michels. „Nämlich sehr kritisch.“

Die neue Erkenntnisse lassen neue Rückschlüsse zu, die Aufnahme fanden in einen 320 Seiten starken Katalog, für den 16 namhafte Autoren Gastbeiträge geschrieben haben. „Kolbes Landschaften sind alles andere als bloße Heimatkunst oder klassische Attitüde der Goethezeit, Kolbe ist alles andere als ein besserer Heimatmaler“, lobt Michels Kolbe als „einen ausgesprochen moderner Künstler, der weit über seine eigene Epoche hinausgewiesen hat.“ Dafür spricht, dass die Dessauer Ausstellung im Anschluss noch im Schloss Neuhaus Paderborn und im Kunsthaus Zürich zu sehen ist.

Deutsche Romantiker (I): C. D. Friedrich.

•Juli 8, 2010 • Kommentar verfassen

[Der Abschnitt über die natürliche Affinität der Landschaft zum Aquarell wird noch auf sich warten lassen. Ich will aber meine Storia nicht zu lange unterbrechen, sonst gerät sie noch in Vergessenheit.]

Als nächste wären wohl die deutschen Romantiker dran. Nicht wegen ihres besonderen Beitrags zur Freisetzung des Ästhetischen durch die Entbindung der Malerei aus ihren thematischen Vorgaben, sondern vielmehr – weil sie gerade keinen geleistet haben.

Beginnen wir bei dem berühmtesten:

Caspar David Friedrich

Man muss gar nicht wissen, dass Friedrich einer mystisch-pantheistischen Weltanschauung anhing und ihm ‚die Natur‘ als diesseitiges Antlitz Gottes galt – man sieht es ja auf seinen Bildern. Es geht ihm offenbar nicht darum, die Natur so malen, ‚wie sie wirklich aussieht‘, und es ging ihm nicht darum, ein ’schönes Bild‘ zu komponieren. Er will etwas zeigen, das den geschäftigen Blicken des Alltags verborgen bleibt, und die Malweise (vgl. die Lichtstudie im untersten Bild) dient dem Zweck, es auf der Leinwand sichtbar zu machen. Er malt die Natur nicht so, wie sie erscheint, sondern als etwas, das hinter ihr steht.

Darum kommen die Menschen auf seinen Bildern eigentlich nicht vor. Bei Claude erschienen sie nur als Staffage und als mythologischer Vorwand für ein triviales Landschaftsgemäde. Bei Corot erfüllen sie später nur eine optische Funktion. Wenn auf Friedrichs Bildern mal ein Mensch vorkommt, dann klein vor einer großen Landschaft, reglos und von hinten: Sie ’stehen für‘ den Bildbetrachter selbst, allein und der Natur gegenüber, und von ihr überwältigt. Und noch lieber würzt er seine Tableaux mit verrottendem Menschenwerk, das an unsere Vergänglichkeit erinnert.

Mit andern Worten, Friedrich frömmelt altmodisch wie die Maler des Mittelalters. Im neunzehnten Jahrhundert geriet er bald in Vergessenheit, und seine Verklärung zum „deutschen“ Maler im Dritten Reich hat er nicht wirklich verdient. Aber weltanschaulich ist seine Kunst, das macht sie fungibel, und auch für andere Zwecke als die seinen. Eine neue, verstohlene Popularität gewann sie im Umwelt-, Ganzheits- und Gesundheitskitsch der Achtziger Jahre, und das war so unverdient nicht.

Die heikle Nähe zum Kitsch macht freilich den besonderen modernen Reiz von Friedrichs Bildern aus: Man muss aus ironischer Distanz ‚über sie wegsehen‘, um ihre ästhetische Qualität wahrzunehmen. Man muss abstrahieren; im Anschauen reflektieren. Das Modernste an Friedrich ist etwas, das er ganz bestimmt nicht beabsichtigt hat.

Turner-Gemälde für Rekordpreis von 35,7 Millionen Euro versteigert.

•Juli 8, 2010 • Kommentar verfassen

Für den Rekordpreis von 29,7 Millionen Pfund (35,7 Millionen Euro) hat das J. Paul Getty Museum in Los Angeles ein Gemälde des britischen Meisters William Turner ersteigert. Das teilte das Auktionshaus Sotheby’s am Mittwoch in London mit. Das 1839 entstandene Werk „Modern Rome – Campo Vaccino“ ist das letzte Bild, das Turner von Italiens Hauptstadt Rom malte. Der Maler (1775-1851) war damals auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Das Werk hatte seit seiner Entstehung vor 170 Jahren nur einmal zum Verkauf gestanden, Sotheby’s hatte mit einem Erlös von höchstens 18 Millionen Pfund gerechnet. Das bisher teuerste Turner-Gemälde „Giudecca, La Donna della Salute“ hatte im April 2006 einen Erlös von umgerechnet 29 Millionen Euro erzielt.

Über das Motiv in Fotografie und Malerei.

•Juni 10, 2010 • 2 Kommentare

In den Jahren 2007-2008 habe ich mich, obwohl ich selber nicht fotografiere, an den Bild-Diskussionen der FotoCommunity* beteiligt; einer Plattform, wo (einige) Berufsfotografen und (viele) Amateure ihre Aufnahmen öffentlich ausstellen können. Die FC hat verschiedene ‚Kanäle‘, unter anderm einen für Landschaftsfotos. Während meiner Beschäftigung mit der Bedeutung der Landschaftsmalerei für die Freisetzung ‚des Ästhetischen‘ im Welt- und Lebensverständnis der Moderne stieß ich auf die Frage, ob sich die Gesichtspunkte, die ich in der Geschichte der Landschaftsmalerei herausgefunden hatte, ebenso in der Landschaftsfotografie bewähren würden; also die Frage, was davon spezifisch zur Landschaft, und was spezifisch zur Malerei gehört.

Hier ein Auszug aus einem Brief:


7. 9. 07

…Ich suche auf Bildern nicht nach einer Aussage.

Ich muß vorweg sagen: Ich bin an die FC durch ein eigentümliches, fast ‚theoretisches‘ Erkenntnisinteresse geraten. Ich suche dort im Gegenteil nach Bildern, die ‚gar nichts aussagen‘. Oder anders gesagt, ich suche nach dem rein-Ästhetischen an den Bildern. Darunter verstehe ich Dasjenige, was vom Bild sichtbar bleibt, wenn man von allen möglichen Bedeutungen außerhalb des Bildrahmens abgesehen hat; also von Allem, was sich irgendwie aufs ‚wirkliche Leben‘ bezieht – und aus diesem Grund irgendwie meine Vor- oder Nachteile betrifft. Also Das, was nicht ‚interessiert‘, sondern ‚bloß erscheint‘. Nach Kant (das ist mein Fach, den darf ich nicht nur, den muß ich zitieren) ist „das Schöne“ (=der damals übliche Name für das ästhetisch-Erhebliche) dasjenige, das ’so erscheint, als ob‘ es seinem Zweck restlos entspricht, ohne offenbar aber einen Zweck überhaupt zu haben! ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck‘ oder, schlichter gesagt, das, was als Zweck seiner selbst erscheint, das ist das ästhetisch Gerechtfertigte, das rein-Ästhetische.

Dabei handelt es sich im Grunde nur um eine ‚Idee‘, denn streng genommen ‚gibt es‘ das rein-Ästhetische natürlich nicht. Schon die Farben selbst haben (von irgendwelchen hirnphysiologischen Vorgängen ganz abgesehen) immer irgendeine ‚lebensweltliche Bedeutung‘. Weiß ‚bedeutet‘ zum Beispiel für einen Eskimo sicher etwas anderes als für einen Amazonasindianer, so wie umgekehrt grün. Nun, und erst Rot oder Blau oder Gold! Von Schwarz nicht zu reden. Ebenso macht es einen Unterschied, ob regelmäßige geometrische (‚Kunst‘-) oder unregelmäßige (‚Natur‘-) Formen verwendet werden. – Das Ästhetische ist also besten falls relativ ‚rein‘ und nicht absolut. Dieses relativ Reine aber kann man ‚finden‘, wenn man es darauf ‚abgesehen hat‘!


Mit der „Gemäldegalerie“ in meinem Fotohome versuche ich darzustellen, wie die (unbewußte) ‚Suche nach dem rein-Ästhetischen‘ die Bildende Kunst – das war damals hauptsächlich die Malerei – auf den Weg der Abstraktion geführt hat: das bloße Verhältnis von Flächen, Farben, Linien und Hell-Dunkel-Werten. Wobei man immer im Kopf behalten muß: Auch ein „rein abstraktes“ Bild kann ‚wild‘ oder ‚harmonisch‘ , ‚heiter‘ oder ‚düster’ wirken – und hat also immer noch einen ‚Bezug zum wirklichen Leben‘ und seinen Interessen. Wie gesagt: Das rein-Ästhetische ‚gibt es‘ am Ende doch nicht. Deshalb hat sich die Abstrakte Malerei schließlich als Sackgasse erwiesen (die allerdings erst gegangen werden mußte, um sich erweisen zu können; und was damals entstanden ist, war Kunst, während es bloß dekorativ wäre, wenn es heute entstünde. XY aus der FC, der als Fotograf auf meiner Buddy-Liste steht, malt solche Bilder, aber ich trau mich nicht, ihm was dazu zu sagen.)

Ja, soviel zur Malerei. Aber in der FC geht’s ja gerade nicht um Gemälde, sondern um Fotos, und mir ist klar, daß meine Sehweise dort nur am Rande eine Rolle spielen darf. Das Fotografieren ist entweder – für ganz viele – ein ‚Hobby‘ oder – für einige – ein Broterwerb; und wenn einer sie im Stillen für (s)eine Kunst hält, traut er’s sich nicht zu sagen. Und sie ist es auch wirklich nur (würde ich sagen) im äußersten Fall. Nämlich in einigen, nicht sehr häufigen Glücksfällen, sofern man es nicht darauf anlegt. (Denn wenn einer mit der Kamera ‚Kunst‘ machen will, kommt fast immer nur Kitsch oder Manierismus oder manierierter Kitsch zustande; dafür findet man es in der FC reichlich Beispiele.)


Das Foto hängt in ganz anderer Weise als das Gemälde am Gegenstand. Der Maler sitzt vor einer kahlen Fläche, und alles, was am Ende zu sehen sein soll, muß er selber dazutun; was er nicht haben will, läßt er einfach weg. Der Fotograf hat sein ‚Motiv‘. Er hat es selbst gewählt, wohl wahr. Aber er hat es nun mal, ‚wie es ist‘. Will er was daran ändern, muß er was draufsatteln, sei’s vorab durch die Kameraeinstellung, sei’s danach mit Photoshop. Wenn er dann sein Motiv so verändert, daß man’s nicht wiedererkennt, darf man ruhig fragen: Wieso hat er’s dann gewählt? Soll er’s doch wegwerfen und sich ein andres wählen! Will sagen: Durch die bildnerische Technik, die er gewählt hat – die Fotografie eben – hat der Fotograf sich darauf eingelassen, aus Dingen, die da sind, dasjenige herauszuholen, was ihm bedeutend erscheint; bedeutend genug, um es gegebenenfalls mit den Möglichkeiten der modernen Technik so hevorzuheben, wie es auf ’natürliche‘ Weise nicht möglich wäre. (Wenn er stattdessen was ganz anderes zeigen will, soll er zu Pinsel und Farbe greifen.)


Aber da liegt ein Haken: Für den Maler (nämlich wenn er ein Künstler sein will) ist es klar, daß sein Gemälde Kunst sein soll. Und da erwartet man heute (zu recht), daß nur das Ästhetische ihm ‚bedeutend‘ genug ist, um es auf die kahle Fläche aufzutragen. Ist es die Sensation, das Dekorative, die Anekdote, ein Witz, die ihm ‚bedeutend‘ sind, so wird man von Gebrauchskunst oder Kunsthandwerk reden. Dem Fotografen muß dagegen klar bleiben, daß sein Foto einen Gegenstand darstellt. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Legitimationen, wovon die Kunst die allerletzte ist, nämlich im glücklichen Ausnahmefall. Die Fotografie ist auch als Reklame gerechtfertigt, als Illustration, als entlarvende Kritik (an der Zeit, an der Kultur), als Reportage und bestimmt noch einiges andere, aber vor allen Dingen eben auch hier: als Hobby, zur Erinnerung, als Kuriosum. Und aus allen diesen Motiven heraus kann man seine Fotos in der FC veröffentlichen. Das ist mir mit meinem Blickwinkel klar und ich bemühe mich bei meinen Kommentaren (meistens) um Takt. Aber veröffentlichen heißt: an die ÖFFENTLICHKEIT bringen. Und da lauere auch ich mit meinem Blickwinkel, damit muß man rechnen. Daß einige beleidigt waren, das nehme ich mit philosophischer Gelassenheit.

*) Die FC hat seither nachgelassen. Aber ein paar gute Bilder finden sich immer wieder; wie hier abgebildet!

Christen Købke

•Juni 1, 2010 • Kommentar verfassen

aus: Neue Zürcher  Zeitung, 1. 6. 2010

Fast immer ein Sommerhimmel

«Christen Købke: Danish Master of Light» in der National Gallery London

Die Londoner National Gallery feiert die Wiederentdeckung von Christen Købke in einer eindrucksvollen Retrospektive. Damit würdigt zum ersten Mal eine Werkschau ausserhalb Dänemarks den Maler.

Von Marion Löhndorf

Nach allem, was man weiss, war Christen Købke ein schüchterner Mensch, der keine grossen Ansprüche an seine äussere Existenz stellte. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er einmal als bedeutendster dänischer Maler des dänischen «Goldenen Zeitalters», einer kulturellen Blütezeit nach den napoleonischen Kriegen, gefeiert würde: Zu Lebzeiten (1810-1848) blieben ihm Erfolg und Anerkennung weitgehend versagt. Mitglieder seiner grossen Familie sowie seine Künstlerfreunde gehörten zu seinen wichtigsten Kunden – obgleich auch der König eines seiner Bilder erstanden hatte. Ein verkanntes Genie war er vielleicht nicht, sicher aber ein stiller, unterschätzter Visionär. Oft haderte er mit seinem Talent, er konnte sich und seine kleine Familie nur knapp ernähren und starb jung, mit 37 Jahren, an Lungenentzündung. Danach geriet er lange Zeit in Vergessenheit.

Eine Entdeckung

Heute wird Købkes Werk seiner meisterhaften Behandlung von Licht und Schatten, der unmittelbaren Wirkung seiner Landschaften und Porträts und seiner eigenwilligen, in die Zukunft weisenden Motive und Perspektiven wegen geschätzt. Erst jetzt wird ihm eine erste Ausstellung ausserhalb Dänemarks gewidmet, die einen Überblick über sein Schaffen erlaubt. Die 48 in der Londoner National Gallery gezeigten Werke sind eine Entdeckung.

Häufig hatte man ihm seine Vorliebe für scheinbar unbedeutende Motive, die fehlende Abenteuerlust, den Mangel an Heroischem und Erhabenem vorgeworfen. Eine Studienreise nach Italien trat er 1839 nur widerwillig auf Drängen seiner Künstlerfreunde und Mentoren an: Die davon angeregten Gemälde gehören zu den am wenigsten strahlkräftigen und authentisch wirkenden seines rund 300 Werke umfassenden Oeuvre.

Seine Motive suchte Christen Købke am liebsten in seiner Heimatstadt Kopenhagen und Umgebung. Die Schauplätze seiner Bilder konnte er zu Fuss erreichen, sie lagen meist gleich vor seiner Haustür. Der tiefgläubige Købke sah im Alltäglichen und im scheinbar Nebensächlichen die Schönheit göttlicher Schöpfung. Auch die oft ungewöhnlichen Bildausschnitte und Perspektiven, die das Unbedeutende auf ein Podest stellten, stimmten selten mit dem Geschmack seiner Zeitgenossen überein.

So wundert es kaum, dass es aufgrund der veränderten Sehgewohnheiten und Denkmuster der Nachwelt vorbehalten blieb, den Maler zu entdecken, der – seinen Briefen nach zu urteilen – mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort haderte und am liebsten in Bildern dachte. Typischerweise ist seinen Werken das Narrative eher fremd: Es sind Momentaufnahmen einer auch in den Bildtiteln geografisch genau bezeichneten Wirklichkeit wie «Die nördliche Zugbrücke der Zitadelle in Kopenhagen» (1837), «Schloss Frederiksborg nahe der Brücke von Møntbro» (1836) oder «Zigarrenverkäufer am Nordausgang der Zitadelle» (1830).

In seinen Bildern, die häufig von architektonischen Elementen in einen geometrisch geordneten Rahmen gesetzt werden, herrscht so wenig Bewegung, dass auf ihnen die Zeit stillzustehen scheint: Zwei Frauen stehen reglos auf einem Landesteg und blicken auf einen See, ein Ruderboot entfernt sich – dem kaum wahrnehmbaren Wellenschlag zu urteilen – langsam («Blick von Dosseringen am Sortedam-See nach Nørrebo», zirka 1838).


Auch die Menschen in «Die nördliche Zugbrücke der Zitadelle in Kopenhagen» (1837) haben es nicht eilig: Vier Knaben lehnen am Geländer und schauen auf den Fluss. Drei von ihnen sind nur in Rückenansicht zu sehen. Nur die langen Schatten des Brückenkopfes und der eines Baums ausserhalb der Bildfläche verweisen auf das Vergehen der Zeit, ebenso wie zwei winzige, halbverdeckte Figuren am anderen Ende der Brücke, die auf den Betrachter zugehen. – Jedes Detail ist mit der gleichen demokratischen Sorgfalt und Hingabe erfasst, von den Grashalmen bis zum Kopfsteinpflaster und zum bröckelnden Mauerwerk am rechten und linken Bildrand. Es ist, wie alle Bilder dieses Malers, ein Bild, das auch den Vorgang des Innehaltens und des genauen Sehens feiert, den Trost des – nur leicht idealistisch überhöhten – Sichtbaren.


Trotz ihrer Realitätsnähe und ihrer zeichnerischen Genauigkeit gehen Købkes Werke in ihrer Serenität, Stille und Intensität über die Darstellung der materiellen Welt hinaus. Andererseits streifen sie bei aller atmosphärischen Dichte höchstens die Vorliebe der romantischen Maler für die Übersetzung von Landschaften in seelische Stimmungsbilder. Købkes Landschaften erscheinen vielmehr wie meditative Betrachtungen einer verdichteten Gegenwart – mit fast hypnotischem Effekt.

Die Menschen seiner Umgebung

Die Direktheit seiner Landschaftsbilder findet sich auch in den Porträts, die grosse Vertrautheit mit seinen Modellen offenbaren. Er kannte den alkoholisierten ehemaligen Seemann mit seinen wässrigen Augen und dem rot geäderten Gesicht ebenso wie die Mutter eines von ihm verehrten Mentors, des Historikers Niels Laurits Høyen. Den Schwager malte er nach getaner Arbeit einen Zigarillo rauchend und den Künstlerfreund Wilhelm Marstrand mit einer Blume im Mund. Mit Einfühlungsvermögen, Intelligenz und nicht ohne Witz betrachtete der Maler die Menschen seiner Umgebung.


So wenig selbstbewusst, wie er wirkte, konnte Christen Købke übrigens nicht gewesen sein. Dafür sprechen seine kühnen Kompositionen. Schloss Frederiksborg malte er mehrfach: Einmal zeigt er das Schloss im rosigen Abendlicht einer konventionellen Monumentalperspektive. Es spiegelt sich im Wasser, das fast wie ein Schatten wirkt und der Baumasse am gegenüberliegenden Ufer zusätzliches Gewicht und Ansehen gibt. Dann aber steigt der Maler aufs Dach des Schlosses und kehrt die Perspektive um. Wiederum ist es das Einfache, das ihn mehr interessiert als das Imperiale. Hinter einem im Vordergrund aufragenden Türmchen und einem Schornstein blickt er weit hinaus aufs unter ihm liegende Land, auf die Felder und die schlichten Häuser – in einem atemberaubenden, grossformatigen Gemälde: Den grössten Raum auf der Leinwand nimmt, wie bei vielen seiner Landschaftsbilder, der Himmel ein. Fast immer ist es ein Sommerhimmel.


Christen Købke: Danish Master of Light. National Gallery, London. Bis 13. Juni 2010. Vom 5. Juli bis 3. Oktober in den National Galleries of Scotland in Edinburg. Katalog (Yale University Press, London) £ 12.95.